
WM-Geschichte
2017: Gold, Glück und Tragödien im Tollhaus von London
Die WM in London war eine gigantische Leichtathletik-Party. Rund 700.000 Zuschauer sorgten wie schon bei den Sommerspielen für eine einzigartige Kulisse. Fünf Jahre nach seinem olympischen Triple an selber Stelle wollte sich Sprint-Superstar Usain Bolt mit einem letzten Hurra in den Ruhestand verabschieden. Daraus wurde nichts. Das 71-köpfige DLV-Team sammelte fünf Mal Edelmetall. Zum einzigen deutschen Weltmeister avancierte Speerwerfer Johannes Vetter.
Als Usain Bolt mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden ging, stockte den fast 60.000 Zuschauern der Atem. Mitleid und Entsetzen wechselten sich ab mit überbordender Freude, als die britische Staffel zum Überraschungssieg sprintete. Gefühlschaos, Drama, Tragödie, Märchen - fünf Jahre nach den Sommerspielen bot das Londoner Olympiastadion den Leichtathleten eine einzigartige Bühne, sorgten rund 700.000 Zuschauer für eine WM-Rekordkulisse. Jeder Abend war ein Spektakel, dessen Protagonisten aus dem Schwärmen kaum mehr herauskamen - selbst der Größte seiner Zunft. "Die Energie in diesem Stadion ist wirklich außergewöhnlich", sagte Bolt.
Schönheitsfehler in Bolts beinahe makelloser Bilanz
Sie nutzte dem schnellsten Mann der Welt allerdings wenig. Der Superstar gab in der britischen Metropole seine Abschiedsvorstellung, die Choreografie geriet jedoch gleich am zweiten WM-Tag durcheinander. Denn nicht der achtmalige Olympiasieger, sondern ausgerechnet der bereits zweimal des Dopings überführte US-Amerikaner Justin Gatlin sicherte sich WM-Gold über 100 m. Vielleicht ein Schönheitsfehler in Bolts beinahe makelloser Bilanz. Aber möglicherweise einer, der den Übermenschlichen menschlich macht. Wie sich die weltbesten Leichtathleten in London überhaupt in irdischen Dimensionen bewegten: Außer im neu ins WM-Programm gehievten 50 km Gehen der Frauen gab es keine Weltrekorde. Stichwort erfolgreicher Anti-Doping-Kampf? Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Bolt für seinen Teil verabschiedete sich nach dem Staffel-Aus unbescholten, wenn auch humpelnd in den Ruhestand. Ein schnöder Muskelkrampf sorgte für ein unwürdiges Ende einer einzigartigen Karriere, wortlos und barfuß verließ der Popstar der Leichtathletik das Stadion durch die Hintertür, bevor er am Sonntagabend mit großem Brimborium auf eine letzte offizielle Ehrenrunde ging. Am Mythos Bolt konnte auch das Drama von London nicht kratzen. "Ich denke nicht, dass eine Niederlage etwas daran ändert, was ich erreicht habe", sagte er.
Neuer Abschnitt
Titelträger
Die Weltmeister von London 2017
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Die erste Goldmedaille der Leichtathletik-WM 2017 in London sicherte sich Mo Farah. Der britische Lokalmatador gewann das Finale über 10.000 m in 26:49,51 Minuten - sein sechster WM-Titel.
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Andrius Gudzius aus Litauen wuchtete den Diskus mit 69,21 m am weitesten.
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Den ersten Titel der Frauen holte sich Almaz Ayana aus Äthiopien über 10.000 m. In 30:16,32 Minuten ließ sie die Konkurrenz deutlich hinter sich.
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Weiter als Luvo Manyonga sprang keiner im Finale. Der südafrikische Weitspringer landete nach 8,48 m.
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Im mit Hochspannung erwarteten 100-m-Finale der Männer wies Justin Gatlin den Favoriten Usain Bolt in die Schranken und sicherte sich Gold - sein zweiter WM-Titel nach 2005 in Helsinki.
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Der Kenianer Geoffrey Kirui triumphierte im Marathon. In der Londoner City benötigte er 2:08:27 Stunden für die 42,195 Kilometer.
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Bei den Frauen kürte sich Rose Chelimo (Bahrain) zur Marathon-Weltmeisterin.
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Beim Siebenkampf zeigte sich keine Athletin so vielseitig wie Nafissatou Thiam. Die Belgierin gewann mit 6.784 Punkten und wurde damit ihrer Favoritenrolle gerecht.
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Ekaterini Stefanidi stieg im Stabhochsprung der Frauen erst spät ein, überquerte dann 4,82 m im ersten Versuch und verwies die Konkurrenz auf die Plätze. 4,91 m schlugen am Ende zu Buche - nach Olympia- und EM-Gold machte die Griechin den "Dreierpack" perfekt.
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Der Neuseeländer Tomas Walsh stieß die Kugel im Finale als einziger Teilnehmer über 22 m - Gold mit 22,03 m.
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Die 100-m-Sprinterinnen lieferten sich ein packendes Finale. Die US-Amerikanerin Tori Bowie fing die Ivorerin Marie-Josée Ta Lou im spannenden Finish gerade noch ab - Gold!
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Die polnische Hammerwurf-Weltrekordlerin Anita Wlodarczyk verteidigte ihren Titel mit 77,90 m erfolgreich.
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In einem packenden Dreisprung-Finale setzte sich Yulima Rojas aus Venezuela mit 14,91 m durch und holte das allererste Leichtathletik-WM-Gold für ihr Land.
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Jamaikas Olympiasieger Omar McLeod sprintete in 13,04 Sekunden zum Titel über 110 m Hürden.
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An ihr führte über 1.500 m nichts vorbei: Die Kenianerin Faith Kipyegon konnte ihr Glück im Ziel kaum fassen.
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Zehn Jahre zuvor jubelte Barbora Spotakova erstmals über WM-Gold. Auch in London triumphierte die Tschechin mit 66,76 m.
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Nach einem packenden Stabhochsprung-Finale jubelte am Ende Sam Kendricks. Der US-Amerikaner meisterte 5,95 m.
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Keine Überraschung über 3.000 m Hindernis: Conseslus Kipruto setzte Kenias Siegesserie fort und holte das 14. Gold in Folge für das ostafrikanische Land.
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Pierre-Ambroise Bosse gewann als erster Franzose überhaupt WM-Gold über 800 m der Männer.
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Der Südafrikaner Wayde van Niekerk verteidigte in 43,98 Sekunden seinen WM-Titel über 400 m erfolgreich.
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Liijao Gong aus China dominierte das Kugelstoßen der Frauen mit 19,94 m.
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Der Norweger Karsten Warholm bewältigte die 400 m Hürden in 48,35 Sekunden und avancierte sensationell zum Weltmeister.
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Über 400 m gewann die US-Amerikanerin Phyllis Francis mit einem furiosen Finish.
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Erwartungsgemäß legte Christian Taylor im Dreisprung den weitesten Satz hin: Gold mit 17,68 m.
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Mit einem starken Schlussspurt sicherte sich Kori Carter aus den USA in 53,07 Sekunden den WM-Titel über 400 m Hürden.
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Gold für die Türkei: Der in Aserbaidschan geborene Ramil Guliyev setzte sich im 200-m-Finale in 20,09 Sekunden gegen den deutlich stärker eingeschätzten Wayde van Niekerk (20,11) durch, der im Fotofinish zumindest noch Silber gewann.
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Den größten Satz im Weitsprung der Frauen machte die US-Amerikanerin Brittney Reese. 7,02 m bedeuteten ihr viertes WM-Gold.
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Ausgelassener Jubel bei Polens Hammerwerfer Pawel Fajdek (M.): Er siegte mit 79,81 m.
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Die US-Amerikanerin Emma Coburn sicherte sich den WM-Titel über 3.000 m Hindernis.
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Die "fliegende Holländerin" Dafne Schippers war über 200 m nicht zu schlagen.
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Die Australierin Sally Pearson rannte der Konkurrenz über 100 m Hürden in 12,59 Sekunden davon und zum zweiten WM-Gold nach 2011 in Daegu.
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Der Äthiopier Muktar Edris gewann das Finale der Männer über 5.000 m und entthronte damit Favorit Mo Farah.
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Hochspringerin Mariya Lasitskene, die als neutrale Athletin antrat, bewältigte 2,03 m und verteidigte damit ihren Titel erfolgreich.
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Kevin Mayer, wer sonst? Der Franzose triumphierte im Zehnkampf mit 8.768 Punkten.
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Johannes Vetter krönte sich mit 89,89 m zum Speerwurf-Weltmeister.
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Die USA mit Aaliyah Brown, Allyson Felix, Morolake Akinosun und Tori Bowie (v.l.) siegten über 4x100 m in 41,82 Sekunden.
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Dramatisches Finale über 4x100 m bei den Männern: Superstar Usain Bolt als Schlussläufer für Jamaika stürzte verletzt in seinem letzten Rennen. Am Ende siegten nicht die USA, sondern überraschend die Lokalmatadoren Chijindu Ujah, Adam Gemili, Daniel Talbot, Nethaneel Mitchell-Blake (v.l.) für Großbritannien.
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Der französische Geher Yohann Diniz holte in WM-Rekordzeit von 3:33:12 Stunden über 50 km Gold und distanzierte die Konkurrenz deutlich.
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Weltrekord bei den Frauen: Die Portugiesin Ines Rodrigues steigerte ihre eigene Bestmarke über 50 km Gehen auf 4:05:56 Stunden.
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Über 20 km Gehen überquerte die Chinesin Jiayu Yang in 1:26:18 Stunden als Erste die Ziellinie.
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Das Rennen der Männer entschied der Kolumbianer Eider Arevalo in 1:18:53 Stunden für sich.
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Hellen Onsando Obiri aus Kenia verwies Titelverteidigerin Almaz Ayana aus Äthiopien über 5.000 m auf den zweiten Rang.
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Über 800 m setzte sich die Südafrikanerin Caster Semenya in 1:55,16 Minuten durch - das zweite WM-Gold für die Olympiasiegerin auf dieser Strecke.
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Klare Sache im Diskuswurf der Frauen: Sandra Perkovic aus Kroatien verbuchte mit 70,31 m den Sieg.
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Hochspringer Mutaz Essa Barshim aus Katar flog nach Silber 2013 diesmal mit 2,35 m zu WM-Gold.
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Kenia-Connection über 1.500 m: Elijah Motonei Manangoi (M.) triumphierte in 3:33,61 Minuten und feierte seinen Erfolg mit zwei Landsmännern. Titelverteidiger Asbel Kiprop (l.) ging diesmal leer aus, Timothy Cheruiyot wurde Zweiter.
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Über 4x400 m setzten sich die US-Sprinterinnen um Allyson Felix (l.) in 3:19,02 Minuten souverän durch. Felix avancierte so mit elf Goldmedaillen, dreimal Silber und zweimal Bronze zur erfolgreichste WM-Athletin aller Zeiten.
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Die 48. und letzte Goldmedaille der WM in London ging an Trinidad und Tobago. Jarrin Solomon, Machel Cedenio, Jereem Richards und Lalonde Gordon (v.l.) gewannen über 4x400 m überraschend vor den USA und Großbritannien.
Keine Medaillengaranten mehr
Die deutschen Leichtathleten traten in den ersten Tagen selten ins Rampenlicht, erlebten dann aber am Schlusswochenende ein Finale furioso. Fünf Medaillen (1/2/2) sprangen insgesamt heraus. "Das am Ende gute Abschneiden zeigt, dass die nur drei Medaillen ein Jahr zuvor bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro ein Ausrutscher gewesen sind. Wir haben uns wieder nach oben gearbeitet und sind für die Zukunft gut gerüstet", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop. Siebenkämpferin Carolin Schäfer hatte sich zu WM-Beginn ihren Traum von Edelmetall mit Silber erfüllt, am "Super-Samstag" kamen auf einen Schlag vier weitere Medaillen dazu. Im starken Speerwerfer-Trio spielte der deutsche Rekordhalter Johannes Vetter die Hauptrolle und holte Gold. Olympiasieger Thomas Röhler wurde Vierter.
Die WM in London zeigte aber auch: Die Werfer sind nicht mehr sichere Anwärter aufs Treppchen, die Breite ist größer geworden. "Die klassischen Medaillengaranten, also nahezu sichere und fast planbare Medaillen, gibt es nicht mehr", konstatierte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska am Ende "komplizierter Weltmeisterschaften", die durch den Ausbruch eines Magen-Darm-Virus beeinträchtigt wurden. Ein halbes Dutzend deutscher Sportler lag zeitweise flach, und auch jene, die von Brechdurchfall verschont blieben, hatten unter den Auswirkungen der Eindämmungs-Maßnahmen zu leiden: Hotel-Wechsel, fehlende Trainings-Einheiten und abgesagte Physiotherapie.
Mehrkämpfer überzeugen mit drei Medaillen
Vor allem die deutschen Mehrkämpfer überzeugten dennoch. Schäfers Vizetitel ließen Rico Freimuth und Kai Kazmirek Silber und Bronze folgen. Zwei deutsche Medaillen im Zehnkampf hatte es schon seit 30 Jahren nicht mehr gegeben. Zwei Jahre nach dem Sensations-Silber der verletzten Hürdensprinterin Cindy Roleder nutzte zudem Pamela Dutkiewicz bei ihrer WM-Premiere ihre Außenseiterchance mit Bronze. "Wir sind im Sprint deutlich nach vorne gekommen", sagte Gonschinska. Das galt auch für Gina Lückenkemper, die als erste Deutsche seit 26 Jahren unter elf Sekunden blieb, bevor sie im Halbfinale Lehrgeld zahlte. Raus mit Applaus.
Überhaupt sorgte der Generationswechsel im über Jahre schwächelnden Laufbereich für Schwung. Pech hatte Hindernis-Ass Gesa Felicitas Krause. Die WM-Dritte von Peking stürzte im Finale ohne eigene Schuld und wurde Neunte. Doch tapfer ins Ziel gekämpft und am Ende starke Worte: Die deutsche Rekordhalterin bewies im Moment ihrer bittersten Niederlage Größe und zählte auch ohne Medaille zu den Gewinnern der WM.
Probleme in einigen Disziplinen
Probleme offenbarten sich in einigen Disziplinen, die lange Zeit mit Medaillenlieferanten besetzt waren. Ohne die Ex-Weltmeisterin Christina Schwanitz (Babypause) lief im Kugelstoßen nichts, ebenso im Hammerwurf ohne Betty Heidler (Karriereende). Im Speerwurf enttäuschte nach den Rücktritten von Christina Obergföll und Linda Stahl die als Titelverteidigerin angereiste Katharina Molitor. Auch Raphael Holzdeppe mit einem "Salto nullo" im Stabhochsprung-Finale, Kugelstoßer David Storl und Diskus-Gigant Robert Harting, der sich mit Rang sechs von der WM-Bühne verabschiedete, erlebten Enttäuschungen.
Tolle Geschichten, aber noch kein Bolt-Nachfolger
Usain Bolts Abschied war überfällig, das zeigte London. Und doch riss der geschlagene Supermann ein Loch, das es für die Leichtathletik in Zeiten von Dopingkrise und Reformierungsbedarf in der Zukunft zu stopfen galt. Bei den Titelkämpfen an der Themse, von den Briten selbstbewusst zur besten WM der Geschichte deklariert, gab es viele tolle Geschichten. Die des Südafrikaners Luvo Manyonga, gut zwei Jahre zuvor noch drogenabhängig und dann Weltmeister im Weitsprung, oder die von Karsten Warholm aus Norwegen, der überraschend den Titel über 400 m Hürden gewann. Nachhaltig trat aber noch kein Athlet ins Scheinwerferlicht.
Stand: 31.07.19 14:45 Uhr
Medaillenspiegel
Platz | Land | G | S | B | |
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1. |
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10 | 11 | 9 | |
2. |
|
5 | 2 | 4 | |
3. |
|
3 | 1 | 2 | |
4. |
|
3 | 0 | 2 | |
5. |
|
2 | 3 | 2 | |
6. |
|
2 | 3 | 1 | |
7. |
|
2 | 3 | 0 | |
8. |
|
2 | 2 | 4 | |
... | |||||
10. |
|
1 | 2 | 2 |
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