
Busemanns WM-Kolumne
Kolumne: Wahnsinn! Niklas Kaul macht sein Ding
Frank Busemann war selbst Zehnkämpfer, gewann Olympia-Silber 1996. In Doha erlebte er nun mit, wie Niklas Kaul aus Mainz völlig überraschend Weltmeister wurde. In seiner Kolumne sucht er sprachlos nach Worten.
Diese Kolumne kann leider nicht das beschreiben, was am Donnerstagabend (03.10.2019) passiert ist. Ich müsste Phrasen dreschen, gigantomanische Superlative inflationär bedienen und ich weiß nicht was verzapfen, dass es dem Ereignis gerecht wird. Es wird nicht gelingen. Versuchen wir es trotzdem.
Ich hatte mir schon schön überlegt, wie ich den Zehnkampf beschreibe, dass der geneigte Leser einen Eindruck davon bekommt, worauf es ankommt. Weshalb so gern davon gesprochen wird, dass die Zehnkämpfer die "Könige der Athleten" sind. Er ist schwierig und vielseitig. Und er heißt Zehnkampf. Das hört sich hart und gefährlich an, so ein bisschen nach Boxbude und Straßenkampf.
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"I make Tenfight!"
Meiner englischen Gastfamilie versuchte ich vor 30 Jahren mal zu erklären, was Decathlon ist. Als Pennäler mit Mittelklasseformat war mir die englische Begrifflichkeit nicht klar und so formte ich den einzig wahren Ausdruck für diese Sportart: "I make Tenfight!".
Zehn Mal kämpfen, mit all seinen Stolpersteinen auf dem Weg zum Podest, das schaffen in Perfektion nur die Wenigsten. Du kannst dich zehn Mal verlaufen, verwerfen, verletzen, vertun, vermasseln, verdaddeln, verhauen, versprengen, verschlafen und verbaseln. Das sind 100 potenzielle Störquellen. Dafür braucht der Athlet Muskeln, Köpfchen und Erfahrung. Deshalb gewinnen meist nur Athleten, die schon weit rumgekommen sind, alles richtig und keine Fehler machen.
100 Stolpersteine auf dem Weg zum Ziel
Kevin Mayer ist so einer. Der Orakel-Fritze von sportschau.de schrieb, erst kommt der Franzose - und dann die anderen. Nach Tag eins rechnet der Orakel-Fritze und sieht erst Mayer - und dann die anderen. Am Morgen des zweiten Tages war die Ergebnisliste beinahe normal, fast langweilig. Am Reißbrett entworfen, so schien es. Die Favoriten brachten sich in Position, die Jäger machten sich auf den Weg. Wenn da nicht das Gesetz des Zehnkampfes wäre. Unordnung, Chaos, Nervenflattern und 100 Stolpersteine auf dem Weg zum Ziel.
Die Emotions-Akademiker des Sports
Mayer verletzt sich, Kai Kazmirek stürzt, Damian Warner wackelt, Lindon Victor patzt. Zack, das Feld wird nervös. Nach jedem Ausfall sortieren sich die Athleten einen weiter vorne ein. "Titel, ich komme!", schreit es in den Köpfen der Athleten. Die Eigendynamik bekommt einen Drive, den nur Emotions-Akademiker des Sports beherrschen.
Ruhe bewahren, sich selbst vertrauen, sein Ding durchziehen. Gar nicht so einfach. Brutal schwer. Das ist was für hartgesottene Vollblutprofis, nichts für nervenschwache Amateure.
Am zweiten Tag werden Sieger gemacht
Niklas Kaul kennt seine Stärken. Der zweite Tag. Da werden Mehrkämpfer gemacht. Tag eins ist Schulsport. Laufen, springen, werfen. Am zweiten Tag werden Sieger gemacht. Und was für welche. Kaul katapultiert sich mit stetig neuen Bestleistungen nach vorne. Unnachgiebig, penetrant und zielstrebig. Die Augen des Terminators. In sich ruhend, explodierend in der Ausführung, ohne an sich zu zweifeln, macht er sein Ding. Wahnsinn!
Er macht im Stabhochsprung keinen ungültigen Versuch und beendet mit Bestleistung den Wettkampf. Er wirft einen Weltrekord mit dem Speer für 8.000-Punkte-Zehnkämpfer und beendet den Wettkampf. Er startet mit Bedacht die 1.500 Meter und steigert den Speed ins Unermessliche.
Auch Kazmirek und Nowak beeindrucken
Das sind alles Attribute eines großen Athleten. Unglaubliche Leistung gepaart mit taktischem Feinschliff. Das können nur die Großen, das sind die Könige. Wir haben ihn, den König der Athleten. Den König des Zehnkampfes. Wer das nicht erlebt hat, hat was verpasst. Ich war zum Glück dabei.
P.S.: Und die beiden anderen waren auch beeindruckend. Kazmirek beendet den Zehnkampf trotz eines Sturzes über die Hürden und Tim Nowak erreicht nach langer Verletzung eine tolle Top-Ten-Platzierung.
Neuer Abschnitt
Titelträger
Alle Weltmeister von Doha
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Die erste Goldmedaille der Leichtathletik-WM 2019 in Doha sichert sich Ruth Chepngetich beim Marathon der Frauen. Die Läuferin aus Kenia gewinnt in 2:32:43 Stunden.
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Das zweite Gold wird beim Hammerwurf der Frauen vergeben. Dabei schleudert mit 77,54 m keine das Gerät so weit wie die Amerikanerin DeAnna Price.
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Im Finale der Frauen über 10.000 m bleibt die Niederländerin Sifan Hassan lange im Hintergrund und gewinnt letztlich nach 30:17,62 Minuten.
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Zum ersten Gold der Männer fliegt Tajay Gayle aus Jamaika beim Weitsprung mit 8,69 m.
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In der wohl populärsten Disziplin, dem 100-m-Sprint, ist bei den Männern der Amerikaner Christian Coleman mit 9,76 Sekunden der Schnellste.
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In der nächtlichen Hitze der katarischen Hauptstadt gewinnt der Japaner Yusuke Suzuki Gold über 50 km Gehen. Mit einer Siegerzeit von 4:04:20 Stunden war es das mit Abstand langsamste Rennen der WM-Geschichte.
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Bei den Frauen, die in Doha über 50 km zeitgleich mit den Männern starteten, holt sich die Chinesin Liang Rui in 4:23:26 Stunden den Titel.
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Nach einem harten Duell mit der Amerikanerin Sandy Morris überquert Stabhochspringerin Anschelika Sidorowa aus Russland 4,95 Meter und holt sich Gold.
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In der Mixed-Staffel zeigen die USA wiederholt, was für eine Macht sie sind, wenn es ums Laufen geht. Sie holen Gold über 4x400 m und stellen dabei in 3:09,34 Minuten einen Weltrekord auf.
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Drei Sprünge aufs höchste Treppchen: Christian Taylor ist Weltmeister im Dreisprung.
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Keine Frau ist über 100 m schneller als Shelly-Ann Fraser-Pryce. Die Jamaikanerin holt sich in Doha ihren vierten WM-Titel über diese Strecke.
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Hong Liu heißt die Siegerin im 20 km Gehen. Genau wie die Silber- und Bronzemedaillengewinnerin kommt sie aus China, das somit auf dieser Strecke einen Dreifach-Triumph feiert.
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Beim Finale der Männer über 5.000 m sieht es bis zur letzten Runde nach einem europäischen Erfolg durch Jakob Ingebrigtsen aus. Letztlich zieht der Äthiopier Muktar Edris aber an und verteidigt nach 12:58,85 Minuten den WM-Titel.
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Über 3.000 m Hindernis der Frauen ist keine so schnell und geschickt wie Beatrice Chepkoech (M.) aus Kenia, die nach 8:57,84 Min. mit großem Vorsprung als Erste einläuft. Gesa Felicitas Krause (l.) wird hinter Emma Coburn Dritte und holt damit die erste Medaille für das deutsche Team in Doha.
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Beim Diskuswurf der Männer schleudert keiner die Scheibe so weit wie Daniel Stahl. Der Schwede holt sich mit 67,59 m den ersten Platz.
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Unter neutraler Flagge tritt die Russin Marija Lassizkene beim Hochsprung der Frauen an. Mit 2,04 m gewinnt sie ihren dritten WM-Titel in Serie.
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Über zwei Runden und damit 800 m ist keine schneller als Halimah Nakaayi aus Uganda, die nach 1:58,04 Min. ins Ziel kommt.
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Tempo und Geschicklichkeit vereint über 400 m Hürden keiner so gut wie Karsten Warholm. Der Norweger überquert die Ziellinie nach 47,42 Sek. und verteidigt so seinen WM-Titel.
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Einen Krimi liefern sich die Stabhochspringer im Finale, in dem letztlich Sam Kendricks aus den USA mit 5,97 m nur aufgrund weniger Fehlversuche das bessere Ende für sich hat und seinen WM-Titel verteidigt.
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Im Finale der Männer über 800 m läuft Donovan Brazier aus den USA seine eigenen Bahnen und gewinnt nach 1:42,34 Min. souverän den Titel.
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Die australische Speerwerferin Kelsey-Lee Barber wirft ihr Arbeitsgerät im letzten Durchgang 66,56 m weit und springt damit vom vierten noch auf den ersten Platz.
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Das Finale der Männer über 200 m dominiert Noah Lyles aus den USA, der nach 19,83 Sek. die Ziellinie überquert und Gold gewinnt.
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Beim Pendant der Frauen führt kein Weg an Dina Asher-Smith vorbei. Die Britin sprintet in 21,88 Sek. zu Gold.
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Im Finale der Männer über 110 m Hürden läuft Grant Holloway aus den USA wie im Semifinale 13,10 Sek. - was im Halbfinale noch zweitbeste Zeit war, reicht diesmal zum ersten Rang.
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Die Dominanz in Person ist Pawel Fajdek: Der Pole wirft seinen Hammer 80,50 m weit und gewinnt damit den vierten WM-Titel in Folge.
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Beim Kugelstoßen der Frauen beweist Lijiao Gong aus China ihre Stärke und stößt mit 19,55 m wie in London 2017 am weitesten.
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Bei der Entscheidung der Frauen über 400 m zeigt Salwa Eid Naser aus Bahrain eine überragende Leistung und gewinnt Gold mit der drittschnellsten Zeit der Geschichte (48,14 Sek.).
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Die Siebenkämpferinnen liefern sich einen spannenden Wettkampf, den die Britin Katarina Johnson-Thompson mit 6.981 Punkten (Weltjahresbestleistung) gewinnt.
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Beim Pendant der Männer, dem Zehnkampf, liefert Niklas Kaul am zweiten Tag ein Spektakel und gewinnt sensationell mit 8.691 Punkten Gold. Er ist mit 21 Jahren der jüngste Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte.
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Beim Finale der Frauen über 400 m Hürden sorgt Dalilah Muhammad aus den USA für einen Paukenschlag und gewinnt Gold in 52,16 Sekunden - Weltrekord!
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In einem Herzschlag-Finale der Männer über 3.000 m Hindernis kommt der Kenianer Conseslus Kipruto durch eine herrliche Aufholjagd nach 8:01,35 Min. (Weltjahresbestleistung) hauchdünn als Erster ins Ziel.
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Beim Diskuswurf der Frauen präsentiert sich die Jahresbeste Yaimé Pérez aus Kuba in Topform und gewinnt mit einer Weite von 69,17 m ihr erstes WM-Gold.
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Beim Hochsprung der Männer hat der Lokalmatador Mutaz Essa Barshim aus Katar seinen großen Auftritt. Der Weltmeister von 2017 wird vom Publikum zu seiner Titelverteidigung mit 2,37 m gepusht.
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Im Finale der Männer über 400 m lässt Steven Gardiner von den Bahamas die Konkurrenz souverän hinter sich und gewinnt Gold in 43,48 Sek.
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Das Gehen der Männer wird von den Gastgebern der kommenden Olympischen Spiele dominiert. Der Japaner Toshikazu Yamanishi gewinnt die Hitzeschlacht über 20 km. Sein Landsmann Yusuke Suzuki hatte über 50 km triumphiert.
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Beim Finale der Frauen über 1.500 m vollbringt Sifan Hassan Historisches: Die Niederländerin ist die erste Athletin, die Gold über 10.000 und eben jene 1.500 m bei einer WM gewinnt. Die Zeit von 3:52,95 Min. bedeutet zudem Europarekord.
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In einem furiosen Finale der Kugelstoßer lässt Joe Kovacs sein Arbeitsgerät 22,91 m weit fliegen und gewinnt Gold hauchdünn mit einem Zentimeter Vorsprung.
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Im Finale der Frauen über 5.000 m lässt Hellen Obiri aus Kenia ihren Kontrahentinnen keine Chance und gewinnt mit einem Start-Ziel-Sieg in 14:26,72 Min. WM-Gold. Damit verteidigt sie ihren Titel von London 2017.
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Hop, Step, Jump: Den Dreisprung der Frauen dominiert Yulimar Rojas aus Venezuela mit deutlichem Vorsprung und einer Weite von 15,37 m. Der Lohn ist wie 2017 in London der WM-Titel.
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Im Finale der Frauen über 4x100 m lässt die Staffel von Jamaika mit Jonielle Smith, Natalliah Whyte, Shelly-Ann Fraser-Pryce und Shericka Jackson (v.l.) keinen Zweifel an ihrer Stärke aufkommen und gewinnt Gold in 41,44 Sek. (Weltjahresbestleistung).
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Bei der Männer-Staffel über 4x100 m liefern die USA um Schlusssprinter Noah Lyles ganz großen Sport ab. Perfekte Übergänge und enormes Tempo münden in der zweitbesten je gelaufenen Staffel-Zeit: 37,10 Sek.
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Im Marathon der Männer hatte Lelisa Desisa aus Äthiopien im Zielspurt das bessere Ende für sich: Der 29-Jährige gewann mit vier Sekunden Vorsprung vor seinem Landsmann Mosinet Geremew.
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Das Finale der Männer über 1.500 m dominiert Timothy Cheruiyot aus Kenia. Nach Silber 2017 gewinnt der 23-Jährige in 3:29,26 Min. endlich Gold.
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Nicht ganz so dominant, aber nicht minder erfolgreich ist Joshua Cheptegei aus Uganda im Finale der Männer über 10.000 m unterwegs. Er gewinnt in 26:28,36 Min. nach Silber in London 2017 nun sein erstes WM-Gold.
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Überglücklich darf auch Nia Ali aus den USA sein. Die Hürdensprinterin "fliegt" im Finale über 100 m in 12,34 Sek. zum WM-Titel.
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Was für ein Sprung: Im Weitsprungfinale der Frauen stellt Malaika Mihambo die Konkurrenz in den Schatten. Sie springt fantastische 7,30 m (persönliche Bestweite) und gewinnt nach EM-Gold 2018 nun auch zum ersten Mal WM-Gold.
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Erster WM-Titel für Anderson Peters aus Grenada: Der 21-Jährige setzt sich im Speerwurf-Finale in Doha mit einer Weite von 86,89 m durch und verweist den Weltjahresbesten Magnus Kirt aus Estland sowie Johannes Vetter aus Offenburg auf die Plätze zwei und drei.
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Die abschließenden Entscheidungen werden bei den Staffeln gesucht: Schlussläuferin Wadeline Jonathas läuft für die 4x400-m-Staffel der USA als Erste ins Ziel und sichert den Amerikanerinnen Gold.
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Auch in der 49. und letzten Entscheidung der WM in Doha jubeln die USA: Michael Cherry, Wilbert London, Rai Benjamin und Fred Kerley (v.l.) gewinnen das Finale über 4x400 m vor Jamaika und Belgien. Die USA stehen am Ende der Weltmeisterschaften mit 14 Gold-, elf Silber- und vier Bronzemedaillen an der Spitze des Medaillenspiegels.
Stand: 04.10.19 10:46 Uhr