
WM-Geschichten
"Muttertag" in Doha: Babys machen schnell und stark
von Ines Bellinger
Vier Mütter haben in Doha nach einer Babypause Gold gewonnen. Sie können von beflügelnden Erlebnissen erzählen - aber auch von Schwierigkeiten, Sport und Familie zu vereinbaren.
Sprintkönigin Shelly-Ann Fraser-Pryce hatte am Abend ihres vierten WM-Triumphs über 100 Meter im Khalifa International Stadium noch eine ganz andere Botschaft als ihre sagenhafte sportliche Überlegenheit im Gepäck. Sie nahm ihren zweijährigen Sohn Zyon auf den Arm und richtete ihre Worte an die Frauen dieser Welt: "Die Show von uns Frauen geht weiter!", sagte die Jamaikanerin im BBC-Interview nach ihrem Supersprint in 10,71 Sekunden. "Meinen Sohn zu haben, so zurück zu kommen... Ich hoffe, ich kann alle Frauen inspirieren, die eine Familie haben oder dabei sind, eine zu gründen."
Not-Kaiserschnitt und ein neuer Körper
Die Worte von "Pocket Rocket" erhielten ein besonderes Gewicht, weil am Sonntag (29.9.2019) kurz vor ihrer Krönung bereits eine andere Super-Mama Gold gewonnen hatte. Allyson Felix, die erfolgreichste Starterin bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften, gewann mit der amerikanischen 4x400-Meter-Mixed-Staffel und der 4x400-m-Frauen-Staffel ihre WM-Titel Nummer 12 und 13. Erst im November des vergangenen Jahres hatte die sechsmalige Olympiasiegerin ihre Tochter Camryn zur Welt gebracht - unter dramatischen Umständen. Es gab Komplikationen, in der 32. Schwangerschaftswoche musste ihre Tochter per Not-Kaiserschnitt geholt werden.
Neuer Abschnitt
Hintergrund
"Super-Mamas": Erfolgreiche Mütter im Weltsport
-
Lassen sich Leistunggsport und Familie vereinbaren? Heike Drechsler (heute 54) hat schon vor fast 30 Jahren eine Antwort darauf. Die Weitspringerin bringt 1989 Sohn Toni auf die Welt und holt als Mama Olympia-Gold in Barcelona (1992) und Sydney (2000).
-
Therese Alshammer (42) und ihr Trainer Johan Wallberg werden im Juni 2013 Eltern eines Sohnes. Die Schwedin kehrt dennoch ins Becken zurück und nimmt 2016 als erste Schwimmerin zum sechsten Mal an Olympischen Spielen teil. Bei der Eröffnungsfeier in Rio trägt sie die Fahne ihres Landes.
-
Wenige Monate nach der Geburt ihrer Zwillinge zeigt sich Kugelstoßerin Christina Schwanitz (33) im Dezember 2017 an der Seite ihres Mannes Thomas bei der Gala zur Ehrung der "Sportler des Jahres" in Baden-Baden - überglücklich, aber auch ein bisschen gestresst vom Bewegungsdrang ihrer "Krümel".
-
Die norwegische Skilangläuferin Marit Björgen (39) bringt 2015 Söhnchen Marius zur Welt. Nach einem Jahr Auszeit gewinnt sie 2017 in Lahti vier WM-Titel, 2018 folgen in Pyeonchang noch zweimal Olympia-Gold für die Rekordweltmeisterin.
-
Die immer noch aktive Kunstturnerin Oxana Tschussowitina (44) aus Usbekistan ist bereits Team-Olympiasiegerin, Mannschafts-Weltmeisterin und hat WM-Gold am Boden gewonnen, als sie 1999 ihren Sohn Alisher zur Welt bringt. Vier Jahre später wird sie Weltmeisterin beim Sprung. Aktuell will sie sich für Tokio qualifizieren - es wären ihre achten Olympische Spiele.
-
Geherin Hong Liu aus China bejubelt in Doha ihr drittes WM-Gold über 20 Kilometer - und das erste nach ihrer Babypause.
-
Ihre Tochter Jada Ellie wird 2008 geboren, danach gewinnt Kim Clijsters (36) noch sieben weitere Tennisturniere, unter anderem die US Open 2009 und 2010 sowie die Australian Open 2011. Im August 2012 beendet die Belgierin zum zweiten Mal ihre Karriere. Im September 2019 kündigt die inzwischen dreifache Mutter ein erneutes Comeback für das Jahr 2020 an.
-
Vier Monate nach der Geburt ihrer Tochter Xenia stürmt die Biathletin Darja Domratschewa (33) in Hochfilzen zu WM-Silber in der Verfolgung hinter Laura Dahlmeier. Danach gelingen ihr noch einige Weltcupsiege und Olympia-Silber 2018 in der Verfolgung und Gold mit der Staffel. 2018 beendet sie ihre Karriere.
-
Allyson Felix (33) herzt ihre Tochter Camryn. Nur zehn Monate nach ihrer Geburt gewinnt die US-Amerikanerin in Doha ihren zwölften WM-Titel - mit der 4 x 400 m-Mixed-Staffel der USA.
-
Beachvolleyball-Olympiasiegerin Laura Ludwig (33) kehrt nach der Geburt ihres Sohnes Teo Johnston im Sommer 2018 Anfang 2019 in den Sand zurück und sichert sich mit neuer Partnerin nach anfänglichen Schwierigkeiten den Titel beim World-Tour-Finale in Rom. Olympia in Tokio ist das große Ziel.
-
Im US-Fußball gibt es gleich mehrere "Soccer Moms". Bekannt ist vor allem Christie Pearce (44/l.), die 2015 unter ihrem früheren Namen Rampone als zweifache Mutter Weltmeisterin wird. Aus dem aktuellen Weltmeisterteam der USA ist Jessica McDonald bereits Mutter.
-
Barbora Spotakova (38) geht schon seit 2013 mit Söhnchen Janek auf Reisen. Die tschechische Speerwerferin holt nur 15 Monate nach seiner Geburt EM-Gold und 2017 in London den WM-Titel. "Ich bin eine glückliche Frau", sagt sie.
-
2009 bringt Dressur-Königin Isabell Werth (50) Sohnemann Frederik auf die Welt. Werths Medaillensammlung ist seither weiter gewachsen, mit Olympia-Gold 2016 mit der Mannschaft als Höhepunkt.
-
Eine Sprintkönigin mit ihrem größten Schatz: Nach ihrem vierten WM-Titel über 100 Meter in Doha wartet auf Shelly-Ann Fraser-Pryce (32) im Ziel Söhnchen Zyon. Die Jamaikanerin richtet danach einen flammenden Appell an Sportlerinnen, die eine Familie gründen wollen: "Die Show von uns Frauen geht weiter!"
-
Serena Williams (37) wäre nach der Geburt ihrer Tochter Alexis Olympia am 1. September 2017 nach eigenen Angaben "fast gestorben". Seit ihrem Comeback hat die Tennis-Mama noch kein Turnier gewonnen. Sie verspüre weniger Druck, seit sie Mutter ist, sagt sie, verschweigt aber auch die schweren Stunden nicht: "Sie hat ihre ersten Schritte gemacht ... Ich habe trainiert und es verpasst. Ich habe geweint", twittert Williams während des Turniers in Wimbledon 2018.
Felix: "Ich arbeite mit einem komplett neuen Körper"
"Das vergangene Jahr war eine große Herausforderung für mich", sagte Felix. Nie und nimmer hätte sie damit gerechnet, so schnell wieder Edelmetall zu gewinnen. Im TV-Kanal des IOC erzählte sie vor der WM von der besonderen Erfahrung, die Frauen nach einer Geburt machen: "Im Moment bin ich weit weg von meiner Bestform, ich arbeite mit einem komplett neuen Körper."
Sponsor Nike wollte Bezüge kürzen
Dennoch hatte sie die Kraft, sich öffentlichkeitswirksam auch noch für die Rechte von Schwangeren einzusetzen. Ihr Ausrüster Nike hatte ihr nur einen um 70 Prozent geringeren Vertrag angeboten - trotz all ihrer Erfolge. "Wenn wir Kinder bekommen, riskieren wir finanzielle Einbußen während der Schwangerschaft und danach. Es ist ein Beispiel für eine Sport-Industrie, in der Regeln immer noch meistens für und von Männern gemacht werden", schrieb sie in der "New York Times". Inzwischen hat der Großsponsor seine Vertragsklauseln angepasst - Felix aber einen neuen persönlichen Ausrüster gefunden.
Auch Hong Liu kommt spektakulär zurück
Den Gold-Tag für die schnellsten Mütter der Welt machte schließlich Hong Liu perfekt, die in der Nacht zum Montag (30.9.2019) über 20 km Gehen triumphierte - zum dritten Mal nach 2011 und 2015. Im Gegensatz zu Felix hatte die Chinesin eine knapp zweijährige Babypause eingelegt, in ihrer ersten Saison als Mutter aber eine ebenso spektakuläre Rückkehr gefeiert.
Mamas Obiri und Ali holen Gold
Über die 5.000 m triumphierte mit Helen Obiri ebenfalls eine Mama. Die Kenianerin kehrte nach der Geburt ihrer Tochter 2018 auf die Leichtathletik-Bühne zurück, nachdem sie über 20 Schwangerschaftskilos abtrainiert hatte. Am Schlusstag der WM gewann die 30 Jahre alte Nia Ali aus den USA Gold über 100 m Hürden. Die Olympia-Zweite von Rio 2016 ist zweifache Mutter und hatte in dieser Saison nach einer Pause ihr Comeback gefeiert. Sie ist mit dem Kanadier Andre De Grasse verheiratet, der in Doha Bronze über 100 m und Silber über 200 m holte.
Spotakova tourt seit Jahren mit Janek
Speerwerferin Barbora Spotakova sorgt schon seit geraumer Zeit für "Mama-Momente". Die Tschechin hat den Beweis, dass Frauen nach einer Schwangerschaft häufig noch leistungsfähiger sind, bereits angetreten. Nach zwei Olympiasiegen brachte sie 2013 ihren Sohn zur Welt. Nur 15 Monate später wurde sie in Zürich Europameisterin, vor den Augen des kleinen Janek, den der Babysitter mit ins Letzigrund-Stadion gebracht hatte. Überglücklich drückte sie ihn nach ihrem Sieg an sich, gab aber zu, dass es nicht die beste Idee war, ihn mit ins Stadion zu nehmen: "Ich habe ihn die ganze Zeit weinen gehört." 2017 holte sie in London ihren zweiten WM-Titel. In Doha war die 38-Jährige wieder dabei und wurde letztlich Neunte.
Schwanitz hat ihre "Krümel" immer bei sich
Die einziger Mama im deutschen Team ist Kugelstoßerin Christina Schwanitz. Die Sächsin hat 2017 Zwillinge zur Welt gebracht - zwei Jahre nach ihrem Titelgewinn bei der WM in Peking. Ihre "Krümel", einen Sohn und eine Tochter, trägt sie immer bei sich - als silberne Figuren an einer Halskette. Ein halbes Jahr nach der Geburt begann sie wieder mit dem Training, verlor in der Folge 23 Schwangerschaftskilos und feierte bei der EM 2018 mit Silber ein gelungenes Comeback. "Ich habe ja auch wieder angefangen, um zu zeigen, dass man auch mit Kindern in der Weltspitze sein kann", sagte Schwanitz und lieferte in Doha den nächsten Beweis dafür: Bronze.
Nebenbei studiert sie auch noch Sozialpädagogik. Sie ist eben "Mama plus", wie sie selber sagt. Und ebenso ein Role Model für andere Sportlerinnen wie Fraser-Pryce oder Felix. Ein Vorbild letztlich für alle Frauen, die schaffen können, was sie sich in den Kopf gesetzt haben. "Die Welt meint, du solltest mit einem Baby warten, bis du aufgehört hast", sagte Fraser-Pryce in Doha. "Aber ich hatte andere Pläne."
Weitere Informationen
Stand: 06.10.19 20:00 Uhr